„Wir können immer noch lachen“

Bei den FEI Europameisterschaften geht heute auf dem Schafhof in Kronberg die erste Hälfte der Junioren in der Einzelwertung an den Start. Mit dabei sind Yeva Stolnikova und Danylo Konovalov aus der Ukraine, morgen ist Teamkollegin Viktoriia German dran. Nein, für die Reiter aus der Ukraine geht es nicht um Medaillen, natürlich geht es um den Sport, aber im Mittelpunkt steht für sie etwas ganz anderes…

Der Kronberger Marktplatz war voller Jubel, der nicht endete. Die Menschenmenge winkte mit blau-gelben Fähnchen und klatschte als das ukrainische Team in der Kutsche zur Begrüßung der Nationen vorfuhr. Auf der Bühne wurde – wie für alle Teams – die Nationalhymne gespielt, bei Equipechefin Mariia Dzhumadzhuk liefen die Tränen. „Es war ein sehr emotionaler Moment“, gibt Mariia zu. „Wir haben die großartige Unterstützung der Menschen gespürt. Das war wunderbar. Ich bin sehr stolz, dass wir hier sein dürfen, und empfinde es als große Ehre.“

Viele ukrainische Reiter haben das Land mit Beginn des Krieges im März 2022 verlassen, darunter auch die drei Junioren, die bei der Europameisterschaft in Kronberg an den Start gehen: Viktoriia German, Danylo Konovalov und Yeva Stolnikova. Es sei sehr schwierig, ein Team für die Europameisterschaften zusammenzustellen, erklärt Mariia. „Unsere Reiter sind überall in Europa verteilt.“ Die 16-jährige Viktoriia German lebt mit ihrer Familie seit Kriegsbeginn in Portugal. Dort hat sie ein Pferd geliehen, den jetzt 15-jährigen Dom Rico, den sie auch mit auf den Schafhof gebracht hat. Danylo Konovalov lebt mit seinen beiden Geschwistern und seiner Familie seit März 2022 in Deutschland, in der Nähe von Osnabrück. Der 18-Jährige konnte seinen langjährigen Erfolgspartner aus der Ukraine mitnehmen. Mit dem elfjährigen Holsteiner Concetti ist Danylo bereits 2018 bei den Children-Europameisterschaften dabei gewesen, damals war Concetti sechs. In diesem Jahr startet das Paar zum sechsten Mal bei Europameisterschaften, zum vierten Mal im Lager der Junioren. Nach Südspanien, in die Nähe von Valencia, hat es Yeva Stolnikova und ihre Familie mit Kriegsbeginn verschlagen. Auch Yeva hat ihr eigenes Pferd aus der Ukraine mitgenommen und ist mit dem 13-jährigen KWPN-Wallach, der bezeichnenderweise Freedom heißt, auf dem Schafhof am Start. Seit zwei Jahren gehen die Beiden auf internationalem Juniorenparkett an den Start, sind aber in diesem Jahr zum ersten Mal Mitglied in einem Championatsteam.

„Wir haben insgesamt sechs Reiter, die sich in diesem Jahr für die Junioren-Europameisterschaften qualifiziert haben“, erzählt Mariia, „aber unsere beste Juniorin hat parallel Abschluss-Prüfungen in der Schule. Auch sie lebt außerhalb der Ukraine seit dem Krieg, in Belgien, und ist nur für ihre Prüfungen zurück in die Ukraine gereist.“ Für zwei der sechs Reiter sei die Reise nach Kronberg aus verschiedenen Gründen nicht möglich gewesen, erzählt Mariia weiter, so lief es auf die drei genannten Reiter-Pferd-Paare hinaus. „Es sind nicht unseren drei besten Junioren, aber es sind die Drei, denen es möglich war, hierher zu kommen.“

Die Equipechefin selbst ist in der Ukraine geblieben, sie lebt in Kiew. „Zu Beginn des Krieges war es wirklich schrecklich und gefährlich, aber jetzt – ein großes Dankeschön an unsere europäischen Freunde – ist Kiew wieder eine sichere Stadt geworden. Wir haben militärische Ausrüstung, um uns zu schützen.“ Für sie seien die Tage in Kronberg wie ein anderes Leben, wie eine Insel, wo sie glücklich sein kann.
In den Monaten vor der Europameisterschaft hat Mariia ihre Schützlinge entweder per Internet-Übertragungen von Turnieren beobachtet oder sich Videos vom Training schicken lassen. „Zwei der Drei kenne ich sehr gut“, sagt Mariia. „Yeva und Danylo kenne ich schon lange, aber Viktoriia war für mich ein ‚Joker‘. Ich habe sie nur als Kind reiten sehen, deswegen war sie für mich bei der Vorbereitungsprüfung eine große Überraschung, das war wirklich gut.“

Getroffen hat sich das Team erst direkt auf dem Schafhof, einen Tag vor Beginn der Europameisterschaft: die drei Reiter sind aus ihren verschiedenen Teilen Europas angereist, Mariia direkt aus Kiew. Alle drei haben ihre eigenen Trainer, die auch mit nach Kronberg gereist sind. Danylo trainiert mit seiner Mutter, Yeva hat ihren Trainer, der mit ihr nach Spanien ausgewandert ist, und Viktoriia hat einen Trainer in Portugal gefunden.

„Für uns ist der Sport natürlich wichtig, aber noch wichtiger ist im Moment das Zeichen, was wir ausstrahlen, wenn wir hier an den Start gehen können. Ein Zeichen an die ganze Welt: ‚Wir leben noch, wir können immer noch lachen und sind immer noch fröhliche Menschen.“
Am Sonntag steigt Mariia wieder ins Flugzeug und fliegt zurück nach Kiew – die Tage in Kronberg und die unbeschwerten EM-Erlebnisse im ‚Gepäck‘.
(KiK/pe&pa)